Freitag, 6. September 2013

Keine Befriedigung in Sicht

Politik und Gesellschaft   |  50 Jahre Rolling Stones

Herr über die Menge: Mick Jagger beim Konzert im Hyde Park
Mick Jagger feiert seinen 70. Geburtstag und die Rolling Stones haben ihre Tour zum 50. Bandjubiläum beendet. Zeit, ein Resümee zu ziehen. Oder besser: Ein Zwischenfazit.

 “Ich wäre lieber tot, als mit 45 noch “Satisfaction” zu singen” – 38 Jahre ist es her, dass Mick Jagger diesen vielzitierten Satz fallen ließ. Daran gehalten hat er sich glücklicherweise nicht. Vor einer Woche ging die Jubiläums-Tour der Rolling Stones zu Ende, die sie durch die USA bis nach Europa führte, wo sie in umjubelten Auftritten auf dem Glastonbury-Festival und im Hyde Park in London gipfelte. Mit einem Gesamtalter von 277 Jahren faszinieren die Stones die Massen noch immer und die ständig im Raum stehende Vermutung, jetzt aber doch Zeuge der letzten Tour gewesen zu sein, wird von immer mehr Beobachtern angezweifelt. Die Rolling Stones haben eine Ära geprägt, Trends überlebt und Tiefschläge einstecken müssen. Doch jetzt, im Spätherbst ihrer Karriere, stehen sie gefestiger da denn je.


Rebellion durch Musik
In den 60er Jahren von ihrem Manager Andrew Loog Oldham als rebellischer Gegenentwurf zu den Beatles inszeniert wurde die Band schnell zum Symbol der gesellschaftlichen Unruhen dieser Zeit. Das gelang sogar, ohne dabei explizit politische Songs zu schreiben. Neben dem elektrisierenden “Street Fighting Man”, welches eher einen begleitenden Soundtrack zur damaligen Studentenbewegung darstellt als unmittelbarer Bestandteil zu sein, blieben die Texte weitgehend unpolitisch und aus heutiger Sicht harmlos. Anders als politisch engagiertere Musiker ihrer Zeit wie John Lennon schafften die Rolling Stones es, allein durch ihr Auftreten und ihre Musik eine Stimmung zu erzeugen, die dem Lebensgefühl der Jugend entsprach und die Gesellschaft gleichsam provozierte wie anprangerte. Kaum ein Song bündelt ihre unnachahmbare Qualität besser als Satisfaction; es bedurfte nur eines Drei-Töne-Riffs aus Keith Richards E-Gitarre und die Gesellschaft war im Ausnahmezustand.
Zwar hatten die Stones mit der Hippie-Bewegung nie viel gemein, doch auf der Welle der goldenen 60er schwammen auch sie mit. Umso abrupter endete diese Zeit für sie. Der Tod von Band-Begründer Brain Jones sowie die Katastrophe von Altamont im Jahre 1969 setzten der Ära ein jähes Ende. Und nachdem sie von ihrem neuen Manager Allan Klein finanziell kräftig übers Ohr gehauen worden waren, blieb nur die Flucht ins Exil. Getragen von den butterweichen Soli des neuen Gitarristen Mick Taylor, die sich wie Girlanden in den harten Stones-Sound einfügten, entstanden in den Folgejahren einige der besten Alben der Rockgeschichte. Schon die letzten Alben mit Brain Jones (Beggars Banquet, 1968 und Let it bleed, 1969) hatten eine ganz neue Qualität in Song-Writing und Arrangement erreicht als ihre Vorgänger, doch die Alben Sticky Fingers (1971), Exile on Main Street (1972), Goats Head Soup (1973) und It’s only Rock’n'Roll (1974) legten noch einen drauf. Neben den bekannten Hits wie Gimme Shelter, Angie oder Wild Horses findet man auf diesen Alben ein musikalisches Kleinod nach dem anderen. Ob es das zauberhafte “Moonlight Mile” ist, das verträumte “Winter” oder das geheimnisvolle “Fingerprint File” – jeder Song stellt ein kleines Meisterwerk dar. Diese Jahre sind der Grund, warum die Rolling Stones neben ihrer gesellschaftlichen Bedeutung auch musikalisch zu dem Besten gehören, was die westliche Kultur im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat.

Doch so harmonisch wie in der Musik lief es innerhalb der Band nicht. 1975 stieg Mick Taylor wieder aus, hauptsächlich aufgrund von Differenzen mit Keith Richards. Ron Wood ersetzte ihn. Von da an stimmte die Chemie zwischen den beiden Gitarristen wieder, doch musikalisch stellte der Wechsel einen Bruch dar. Die Aufhebung der klaren Hierarchie zwischen Lead- und Rhythmus-Gitarre war Keith Richards lang gehegter Wunsch und im Zusammenspiel mit Ron Wood sah er ihn endlich erfüllt. Das höchste Lob sei es, wenn ihn nach dem Konzert jemand frage, wer denn welches Solo gespielt hätte, sagte Keith Richards kurz nachdem Ron Wood sich der Band angeschlossen hatte. Soli wie in Highwire (1989), die sich ohne klare Führung in Verschmelzung scheinbar unzähliger Gitarren zu ihrem Höhepunkt mäandern, bestätigen diese Entwicklung. Doch weder "Black and Blue" (1976) noch "Some Girls" (1978) konnten an die Qualität ihrer Vorgänger anknüpfen und produzierten weniger prägnante Welthits als man es zuvor von den Stones gewohnt war. Zwar ist auf "Tattoo You" (1981) der Gassenhauer "Start me up" zu finden, doch bei genauerer Betrachtung stammt auch er bereits aus früheren Sessions.


Die globale marke "Rolling Stones"


In den frühen 80ern besannen sich die Rolling Stones stattdessen auf einen neue Facette, die es in dieser Dimension in der Musikgeschichte noch nicht gegeben hatte, die ihre Karriere aber nachhaltig prägen sollte. Wie keine Band zuvor forcierten sie ihre Konzerte zu Großereignissen und begannen regelmäßig, ganze Stadien zu füllen. Einen Meilenstein in dieser Hinsicht bedeutete ihre Nordamerika-Tour im Jahr 1981, die auf dem Film "Let's spend the night together" festgehalten ist. Ihren Status als aufregendste Live-Band der Welt zementierten die Rolling Stones in den 90er Jahren, als ihre Tourneen regelmäßig die Rekorde der jeweils vorherigen brachen. Damit einher ging auch die der Band immer wieder zum Vorwurf gemachte Entwicklung der Kommerzialisierung. Das "Unternehmen" Rolling Stones warf immer höhere Gewinne ab und hatte in Mick Jagger einen Geschäftsführer, der es wie kein anderer Frontman einer Band schaffte, die authentizitäts-wahrenden Elemente der Band derart zu prfessionalisieren, dass das Image der rebellisch unangepassten Rock'n'Roller auf Dauer erhalten blieb.  


Genau dieses gnadenlose Erfolgsstreben Mick Jaggers war es aber, das Mitte der 80er Jahre die größten Verwürfnisse innerhalb der Band provozierte. Stones-Fans sprechen vom dritten Weltkrieg, wenn sie die 6 Jahre andauernde Eiszeit zwischen Mick Jagger und Keith Richards meinen. Erfolgstrunken von der Tour 1981, auf der die Band oft als “Mick Jagger & die Rolling Stones” angekündigt wurden, wollte Mick Jagger sich von den Stones emanzipieren und eine Solokarriere starten. Dieser Wunsch brachte den immer schweldenden Konflikt zwischen dem progressiven Mick Jagger und Keith Richards, der “seit 1970 keine aktuelle Musik mehr gehört hatte” (Mick Jagger, 1981), zum eskalieren. 1985 veröffentlichte Mick Jagger sein erstes Solo-Album “She’s the Boss”, zwei Jahre später das nächste (“Primitive Cool”). Doch an die Erfolge der Rolling Stones konnte er damit nicht anknüpfen. 1989 versöhnten sich Mick Jagger und Keith Richards und starteten die bis dato größte Tour aller Zeiten. Letztlich sah wohl auch Mick Jagger, dass es genau diese Symbiose zwischen authentischem Rock’n'Roll (Richards) und glamuröser Gigantomanie (Jagger) ist, die die Faszination der Rolling Stones ausmacht.
Bei H&M für 9,99€
Für die aktuelle Musik sind die Rolling Stones schon lange wenig relevant. Doch für die heutige Jugendkultur haben sie immer noch eine Bedeutung. Seit die Modekette H&M vor 6 Jahren T-Shirts mit dem markantem Symbol der Band, der herausgestreckten Zunge, auf den Markt brachte, ist diese praktisch allgegenwärtig. Sie hat sich auf andere Modeketten ausgebreitet, ist mannigfach stilisiert worden und begegnet einem fast jeden Tag. In vielen Werbespots wurde Musik der Rolling Stones verwendet (Paint it black (Telekom, 2007), She’s a Rainbow (Sony, 2008), I’m free (VW, 2009)). Dadurch wurden sie plötzlich auch für die jüngste Generation “cool”. Auch wenn fraglich ist, ob jeder Zungen-T-Shirt-Träger genau weiß, was hinter dem Symbol auf seiner Brust steckt, wird der Mythos der Band durch die Werbeindustrie immer mit transportiert.
Dieser Mythos ist heute natürlich Geschichte. Die heutige Generation beschäftigt sich mit anderen Themen. Doch gerade vor der Kulisse der Probleme der heutigen Zeit wirken die Jugendbewegungen der 60er oftmals verlockend und anziehend. Über die Jahre gesellschaftlich respektiert und stellenweise sicher auch romantisiert stellen sie ein heiles Bild dar, dessen Äquivalent in der heutigen Zeit mehr und mehr zerbröckelt. Auch heute, nach 50 Jahren, verkörpert niemand dieses heile Bild so gut wie die Rolling Stones. Sie sind zu lebende Zeitzeugen einer Ära geworden, die heute mehrheitlich bewundert wird. Ihre Errungenschaften, musikalisch wie gesellschaftlich sind ebenso einzigartig, wie die Tatsache, dass man die Band noch immer live erleben kann. “Es gibt die Sonne, es gibt den Mund, es gibt die Luft zum Atmen und es gibt die Rolling Stones”, pflegt Keith Richards zu sagen. Neben allem schöpferischen Erbe, das die Band hinterlässt, ist es diese Beständigkeit, die der Welt fehlen wird, wenn sie einmal nicht mehr da ist. Doch man darf guter Hoffnung sein, dass dieser Punkt noch nicht erreicht ist. Auf dem Glastonbury-Festival verabschiedete Mick Jagger das überwiegend junge Publikum mit den vielsagenden Worten: “Wer die Band zum ersten Mal gesehen hat, sollte wiederkommen!”. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen.

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